Zuspruch zum Advent 2016: Da wohnt ein Sehnen….

Worte gibt es, die haben es in sich. Sobald wir sie hören, bringen sie bestimmte Saiten in uns zum Klingen und wecken Gefühle oder Stimmungen in uns. Für mich zählt das Wort „Sehnsucht“ dazu. Es wirkt so lebendig und hilft oft aus dem abgehärteten Gehäuse der Tatsachen heraus. Dieses Wort Sehnsucht zeigt mir besonders in den schwierigen Zeiten, in denen ich meine Begrenzung im Leben deutlich spüre, dass es noch etwas anders gibt. Die Sehnsucht lässt mich zu neuen Zielen aufbrechen, die ich in der Zukunft bestenfalls erahnen kann. Gleichzeitig verspüre ich beim Hören des Wortes Sehnsucht eine innere Last: Eng verbunden mit dem Wahrnehmen von dem, was in meinem Leben fehlt, fühlen ich auch meine eigene Verwundbarkeit. Wie oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass mein Entschluss, mich auf das Leben einzulassen, immer auch die Gefahr in sich birgt, verletzt zu werden.

Es klingt paradox: In der Sehnsucht spiegelt sich ein unstillbarer Hunger nach einem Mehr an Leben wider. Und gerade dieser Lebenshunger, der mich schmerzhaft den Mangel in meinem Leben spüren lässt, weckt zugleich die Ahnung in mir, dass ich noch etwas Gutes vom Leben zu erwarten habe. Dann wird mir unerwartet bewusst, dass ich noch nicht angekommen bin. Und dieser scheinbare Widerspruch der Sehnsuchtserfahrung hin zu einer Bewegung des Aufbruchs führt mich immer wieder neu in die Begegnung. Letztlich ist dies die Bewegung des Lebens selbst. Denn das Leben können nur die erfahren, die es im Hier und Jetzt leben. Kurz gesagt: Je mehr Menschen den Mangel im eigenen Leben wahrnehmen, umso mehr leben sie. Die biblische Tradition spricht in diesem Zusammenhang von einem „Leben in Fülle“ (Joh. 10,10). Sie beschreibt mit diesem Bild der Hoffnung, dass das, was noch aussteht, unendlich viel größer ist als das, was wir nach menschlichen Maßstäben erwarten. Vielleicht übersteigt es sogar bei weitem das, was wir mit unseren menschlichen Möglichkeiten empfangen können. Es mag vielleicht wie ein kühner Gedanke klingen, doch die biblischen Texte erzählen davon, dass Gott selbst sich so sehr nach dem Menschen sehnt, dass er einer von ihnen geworden ist und somit jedwede Distanz überwunden hat. Gottessehnsucht und menschliche Sehnsucht korrespondieren miteinander. So wird die Sehnsucht zum Zeichen eines wechselseitigen Liebesverhältnisses, in welchem die ersehnte Nähe des Geliebten immer wieder neu in die Bewegung des Lebens führt. Wenn das kein Grund zur Vorfreude ist, gerade in diesen Tagen des Advent.

Einen sehnsuchtsvollen Advent
Wünscht Ihr Pfarrer Markus Schmidt