Pilgerei- kein Wellnessprogramm – auf dem Jakobsweg entlang des Spessarts

Es ist Ende Oktober und am Wochenende soll es vorbei sein mit den goldenen Herbstsommertagen.

Eine Gruppe von Lehrerinnen und Lehrern aus Heidelberg lässt pünktlich am Freitag um 13.50 Uhr den Arbeitsalltag hinter sich. Mit Pkws geht es nach Michelstadt und von dort in Zügen nach Aschaffenburg. Hier steigen sie ein auf den Jakobsweg, der auf dem Main-Weg am Spessart entlang Richtung Süden verläuft. Vor Miltenberg wollen sie ihn verlassen, um Richtung Osten auf dem Vier-Länderweg zurück nach Michelstadt zu gelangen.

Den Weg haben Claudia Hanko und Frank Böhm, Mitglieder beim Hessischen und Fränkischen Jakobusverein, unter dem Arbeitstitel „Über Grenzen – Pilgerprojekt Spessart- Odenwald“erkundet und in sechs Etappen von Aschaffenburg bis Heidelberg beschrieben. Die zur Verfügung stehende Zeit an diesem Wochenende ist 2,5 Tage und die Strecke beträgt 65 km.

Mancher kommen Zweifel nach der sich hinziehenden Bahnfahrt, die sich im Irgendwo zu verlieren scheint und erfährt, dass Weg und Zeit den Rahmen vorgeben, und ich schauen muss, wie ich mich mit meinen Bedürfnissen und Befindlichkeiten einpasse. Manchmal geht es an Grenzen und das ist das Besondere am Pilgern -physisch und psychisch und gerade dort, wo ich etwas weiter gehe, Komfortzonen verlasse, mache ich neue oft spirituelle Erfahrungen.

Offizieller Beginn der Pilgerreise ist an der Stiftskirche in Aschaffenburg, hier weist der Heilige Jakobus am Stiftsbrunnen den Weg in Richtung Südwest.  Der Beginn misslingt aus zeitlichen Gründen. Gern hätten alle den begrüßenden Worten Peter Spielmanns, dem Organisator des monatlichen Pilgertreffs in Aschaffenburg, länger und entspannt zugehört und sich den süßen Versuchungen der Stadt hingegeben, aber da wartet schon der Bus nach Obernau, ohne dessen Hilfe die erste Etappe nach Hofstetten hätte nicht bewältigt werden können.

Das erste Teilziel, die Kapelle Obernau, ist leichtfüßig erreicht und zur Bestätigung darf der Stempel von diesem Ort in den improvisierten Pilgerausweis gedruckt werden. Die kleine Pause an diesem Ort des Friedens tut gut, lässt durchatmen, Spannungen sich lösen, die vorbeigerauschte Begrüßung wird nachgeholt, schluckweise im Genuss des mitgegebenen Pilger-Weins. Einem Mangel wird mit Kreativität abgeholfen, für den vergessenen Becher steht eine entleerte Erdnussdose ein und wird später Kultstatus erlangen. Die Lieder, die sie hier singen, begleiten sie auch weiterhin. Eine Gruppe heranrollender Freizeitsportler empfinden sie wie Fremdkörper an diesem Ort, dem sie noch einmal am Pilgerstein von Peter Spielmann mit einem Gruppenfoto (Bild) die Ehre geben.

Mit „Jakobswegsweg-Gefühlen“ beschwingt geht es weiter auf ebenen Waldwegen durch bunte Mischwälder. Die gute Stimmung steckt an, auch der Himmel entscheidet sich noch einmal um und malt blau statt grau.

Am frühen Abend liegt das zweite Teilziel, die Christkönigskapelle oberhalb von Kleinwallstadt schon im Dunkeln. Zum Glück ist der Abstieg nicht mehr weit zum Gasthof Almhütte. Dort stärken sich alle für den Nachtmarsch  nach Hofstetten.

Im Gasthaus zur Linde hat sich die Dorfgemeinschaft, die den monatlichen Brotbacktag im Ort vorbereitet, versammelt. Sie staunt nicht schlecht, als zu später Stunde sechs Rucksackbeladene einziehen und am Nebentisch ihren „Vorruhestand“genießen.

Ein üppiges Frühstück schafft am nächsten Morgen die Grundlage und motiviert für die bevorstehenden  Kilometer. Doch nach wenigen Schritten heißt es: Halt! Treibjagd. Es bedeutet zwei Kilometer Landstraße statt Waldweg bis zur Thadäuskirche. Auf dem anschließenden Waldrandweg erinnern sie die gesprengten Bunker daran, dass sie altes Grenzgebiet mit dem Main als Grenze durchschreiten.

Nach Erlenbach wechseln sie auf den auf mittlerer Höhe Weinberge durchkreuzenden Rotwein-Wanderweg. „Halt“ heißt es hier ein zweites Mal. Der Bürgermeister mit einigen Honoratioren lädt ein zum Wein. Die Pilgerinnen nehmen das zweite Weingeschenk gern entgegen, verzichten aber auf die bereit gehaltenen Weingläser und lassen es sich standesgemäß aus Pilgerbechern und Erdnussdose lustig schmecken. Manch  lustiger Spruch über dem Wein geht die Runde und mit „Oh wie schön ist Erlenbach“ bereichert erreicht die Pilgerschar Klingenberg und Kleinheubach.

Im Gasthaus und Hotel Bretzel begegnen sich später beim Abendessen zwei Welten, Pilger und Geburtstagsgesellschaft. Die kleine Schar der Pilger fühlt sich vom Tagesmarsch noch leicht unterkühlt in die Ecke gedrückt und versucht sich während der langen Wartezeit auf das Essen mit Erdnüssen und heimlich verzehrten Brotstücken bei Laune zu halten, was nur schwer gelingt, weil die anderen den Geräuschpegel gleichmäßig hoch halten. Den Pilgernden steht noch eine weitere Herausforderung bevor, die Übernachtung im Gruppenraum.

Am Morgen ist die Nacht Gesprächsthema und einige erzählen, wie sie ihrem Bedürfnis nach Ruhe und Schlaf nachgekommen sind, für einige ist es eine Grenzerfahrung. Mit „Kling,Klang, Glockenschlag“ und „Ubi Caritas“ sich wärmend lassen sie diesen Ort hinter sich und überschreiten eine reale Grenze, den Main zwischen Groß und Kleinheubach.

Der letzte Abschnitt verspricht immer wieder Stärkung durch sprudelndes Quellwasser. Die gibt es zuerst an der Odilienquelle in Rüdenau und anschließend im Gottesdienst der Gemeinde.

Auf dem wunderschönen Höhenweg über die Lauseiche nach dem hessischen Vielbrunn treibt die kühle Witterung einen Teil der Gruppe voran und über die verabredete Raststelle hinaus. Der andere Teil gibt den Verlockungen einzelner Pilze am Wegrand nach und kommt erst an dem verwaisten Treffpunkt langsam zurück in die Realität: Einer fragt sich besorgt, ob sich die anderen verlaufen haben und setzt aufs Handy, eine spürt jetzt die durchdringende Kälte und kämpft  mit Regencape dagegen, eine setzt auf ein wärmendes Getränk und stellt die Buschbox auf.

Glücklicherweise haben die Entzweiungen im Dorf Vielbrunn ein Ende. Dort wartet aufgewärmt und ausgeruht im Cafe Talblick der erste Teil, er hatte sich für das geradlinige Durchmarschieren entschlossen.

Hier ist am Nachmittag noch nicht für jeden die physische Grenze erreicht, aber angesichts der noch bevorstehenden 10 km mit kleinen Auf- und Abstiegen entschließt sich die Gruppe, den Bus nach Michelstadt vorzuziehen, um in gemütlicher Runde mit Zeit für den Austausch und den Abschied die Pilgerreise abschließen zu können.

Die ausstehenden 3 Etappen bis Heidelberg planen sie für das Frühjahr 2018.

Frank Böhm, Heidelberg, den 14.11.2017