Gehen mit Gott – In aller Stille

Gehen mit Gott – In aller Stille
Gehörlose und Hörende machten sich entlang des Mains auf den Jakobsweg

Unter dem Motto “Schritt für Schritt und du gehst mit! wandelten rund 40 hörende, schwerhörige und gehörlose Pilger auf den Spuren des heiligen Jakobus. Bis zum ökumenischen Kirchentag 2021 soll der Pilgerweg, der größtenteils am südlichen Mainufer entlangführt, barrierefrei ausgebaut werdern.

Pilgerbegleiter Karl-Heinz Kohn & Pilgerin Tanya del Boccio laufen vorneweg, die übrige Gruppe aus Hörenden, Schwerhörigen und Gehörlosen folgt mit ruhigen Schritten am südlichen Mainufer auf dem rund 17 Kilometer langen Pilgerweg von Sankt Leonhard nach Sankt Justinus in Höchst. Foto: Michael Faust

VON GERNOT GOTTWALS
Frankfurt. Der Weg zum Rasen unter der Europabrücke der A5 ist mit Asphalt gepflastert. Immer wieder klingeln sich Radfahrer den südlichen Mainuferweg frei, an der Uferstraße knattert ein Moped, über die Autobahn donnert der Fernverkehr. Die Idylle des Pilgerwegs scheint etwas gestört, und die Wahrnehmung der Gehörlosen im Vorteil zu sein. Das ist das pralle Leben”, schmunzelt Christian Enke, Pfarrer in Sankt Margareta und Gehörlosenseelsorger des Bistums Limburg.
Doch dann verteilt Pastoralreferentin Claudia Lamargese bunte Tücher, die in den Händen der 40 Pilger wehen, als das Lied “Meine Hoffnung, meine Freude” angestimmt wird. Die Hörenden und Schwerhörigen singen, die Gehörlosen strecken ihre Hände empor, um Stärke, Hoffnung und Zuversicht auszudrücken. Der Verkehrslärm der Autobahn rückt in den Hintergrund. ,,Ich bin zum ersten Mal da bei, nehme das Lied und die Stimmung durch Mimik und Gestik wahr und fühle mich mit Gott verbunden”, erklärt Tanya del Boccio und Enke übersetzt ihre Gebärden in Worte.
Nach dem morgendlichen Start am Denkmal der Jakobspilger vor der Sankt Leonhardskirche und der Mittagsrast im Gemeindezentrum der Kirche Mutter zum Guten Rat befindet sich die gemischte Gruppe bereits auf der zweiten Etappe, die sie gegen 16 Uhr über die Schwanheimer Brücke zur Abschlussandacht nach Sankt Justinus in Höchst führt. Auch die Inklusionsstelle des Bistums Limburg, die den Pilgertag gemeinsam mit der Hessischen Sankt Jakobsgesellschaft organisiert, sieht schon ein Etappenziel erreicht: »Schwerhörige und Gehörlose kommen hier dank unserer Angebote schon gut zurecht, doch für Blinde, Seh- und Gehbeeinträchtigte sowie Menschen mit Lernschwierigkeiten bleibt noch einiges zu tun”, sagt David Heun, Referent der Inklusionsstelle.
Während die Alte und die Schwanheimer Brücke mit ihren Rampen und geringfügigen Steigungen für Gehbeeinträchtigte und Rollstuhlfahrer schon gut zu bewältigen sind, werden für den sonstigen, vor allem am südlichen Mainufer entlangführenden Jakobsweg bis zum ökumenischen Kirchentag 2021 noch einige taktile Abgrenzungen, Ruhebänke und ein Pilgerhandbuch in einfacher Sprache gebraucht. Heun ist zuversichtlich: In den nächsten Monaten stehen hierfür weitere Gespräche mit der Stadt an.”

“Etappenweise einfühlen”

Maren (9) und ihre Schwester Lara (17) gehören zu den Schwerhörigern der Pilgergruppe. ,Mit den Hörenden kann ich mich leichter verständigen, ansonsten komme ich beim Laufen zur Ruhe, kann über Gott nachdenken”, sagt Maren. ,Ich habe auch vor allem ein historisches Interesse am Jakobsweg”, meint Michael del Boccio, während er Äußerungen seiner gehörlosen Frau dolmetscht. “Unser heutiger Frankfurter Jakobsweg ist einer von mehreren Wegen über den Knotenpunkt Mainz zum Grab nach Santiago de Compostela”, sagt Werner Portugall, Pfarrer in Sankt Jakobus.
Auch dorthin, wo die Gebeine des Apostels seit dem 9. Jahrhundert ruhen, möchte mancher Pilger, doch vorerst bleibt der Frankfurter Weg mit Sankt Justinus das Ziel. ,Die Gehörlosen richten sich in ihrem Leben ein, in das wir Hörenden uns erst etappenweise einfühlen müssen”, räumt Michael del Boccio ein. Und der Stress durch Lärm kann sich auch auf sie übertragen, wenn sie die Anspannung in unseren Gesichtszügen genau beobachten und spüren.”

Quelle:  Frankfurter Neue Presse von 05/2019
Foto: Michael Faust