Zuspruch zum Fest der Auferstehung

Jakobusweg – ein Weg Europas

„Der Jakobusweg mit all seinen Nebenwegen bildet durch ganz Europa eine gigantische Wirbelsäule, in der sich ganz Europa vereint und belebt.“

(Elías Valina Sampedro, Pfarrer vom El Cebreiro)

Seit dem 9. Jahrh. lässt sich im Jakobusweg mitsamt seinem Netzwerk von Zugangswegen allmählich eine Europäische Magistrale erkennen.

Kurz vor Bergen-Enkheim findet man diesen so gut wie unzerstörbaren Wegweiser der „Via Regia“ an der „Hohen Straße“. Dieser ehemalige Handelsweg von Kiev bis Santiago wurde im Laufe seiner Geschichte zu einem Teilstück der „via lemovicensis“, die bekanntermaßen Frankfurt über Vézelay mit Santiago verbindet. Der aufmerksame Betrachter wird die Stationen von Kiev bis Santiago leicht erkennen können. Es war dies stets eine völkerverbindende Straße, auf der auch Pilger zahlreicher Länder sich begegneten, gemeinsam beteten, Zeugnis ablegten für ihren Glauben, ihre Überzeugungen, um schließlich dem Heiligen Jakobus in Santiago die Ehre zu erweisen.

Schon im Codex Calixtinus wird in den Predigtsammlungen „Veneranda dies“ und „Adest nobis“ die länderüberspannende Dimension deutlich. Durch die Pilgerschaft sollte sich der Mensch erneuern in seiner religiösen Grundüberzeugung. Darüber hinaus begünstigten die Pilgerströme die Entfaltung einer künstlerischen und kulturellen Vielfalt, wovon sowohl wirtschaftliche als auch politische Interessen profitierten. Der Anspruch, den Pilger in den neuen Menschen zu verwandeln, wirkte sich auch bereichernd auf die damaligen sozialen Verhältnisse aus, wurden doch in den zitierten Predigtsammlungen die Bedingungen für eine Pilgerfahrt klar und deutlich in diese Richtung formuliert.

Zweifellos hatte die globale Dimension dieses Wegesystems mitsamt seinen zahlreichen Einrichtungen in ganz Europa sehr lange Bestand. Erst mit der Reformation begann ein allmählicher Veränderungsprozess, der später mit der sich ausbreitenden Aufklärung und dem damit verbundenen Verlust bzw. der Leugnung von Transzendenz (Charles Taylor) fast zum Erliegen des Pilgerstroms führte.

Auf Initiative des Europarates setzte ab 1985 mit der Wanderausstellung „Santiago de Compostela, 1000 Jahre Pilgerschaft in Europa“ eine Wiederbelebung der Pilgerfahrt nach Santiago ein. Man hatte erkannt, dass die nach wie vor vorhandenen Pilgerwege als einigendes Band Europas zu verstehen sind. Seitdem entstanden in allen Ländern Jakobusgesellschaften, Pilgerherbergen lebten wieder auf, Reiseführer und Pilgerliteratur füllen ganze Bibliotheken, wobei ein bekannter deutscher Entertainer mit seinem erfrischenden Buch „Ich bin dann mal weg“ einen wahren Pilgeransturm ausgelöst hat. Mag auch manch einer die Nase rümpfen über die Verbindung von Religiosität und Massentourismus, so kann man dennoch mit Fug und Recht sagen, dass Jakobuswege als „europäische Kulturstraße“ bzw. „Kulturerbe der Menschheit“ für die Entwicklung des europäischen Bewusstseins und der Völkerverständigung insgesamt einen außerordentlich wichtigen Beitrag leisten. Selbst aus der Zeit gefallene, Bomben werfende Despoten, werden diese positive Entwicklung nicht aufhalten können. Selbst ein Virus, das uns seit zwei Jahren zu schaffen macht, wird schließlich überwunden werden.

Der Europarat bezieht sich ausdrücklich auch auf die spirituelle Dimension gemeinsamer Erfahrungen, Überzeugungen und Werte, wenn es heißt: „Möge der Glaube, der die Pilger im Laufe der Geschichte bewegte und der sie im gleichen Sinn zusammenführte – über alle Verschiedenheiten und nationalen Interessen – auch uns in dieser Zeit antreiben, besonders auch die Jugendlichen, weiter diese Caminos zurückzulegen, um so eine Gesellschaft zu bauen, die gegründet ist auf Toleranz, Ehrfurcht vor dem Mitmenschen, auf Freiheit und Gemeinschaftsbewusstsein“.(zitiert nach: Jakobuswege verbinden Europa in www.jakobsweg.ch)

 

© G. Waigand