Gedanken zum Ende der Pilgersaison 2018

Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit dem ersten Schritt. (Laotse, 6. Jahr. n.Chr)

Damit ist schon angedeutet: Christen, Moslems, Juden, Buddhisten, Hindus, Aborigines pilgern; Gepilgert wird weltweit und seit Jahrtausenden.

In mittelalterlicher Sicht ist der Mensch ursprünglich ein „civis coelstis“, wird geboren zum „hospes terrestris“. Hier ist er in der Fremde und wird nach seinem Tode wieder zum „civis coelestis“. Der Mensch ist also ein PEREGRINUS – einer der in der Fremde weilt, er ist PILGER.

Im Mittelalter galten Pilgerfahrten zu besonders Wirkmächtigen Heiligen als verdienstlich im Hinblick auf das ewige Heil. Daraus entwickelte sich ein florierender Frömmigkeitstourismus mit Wundererscheinungen, Verkauf von angeblich heilswirksamen Devotionalien. Beherrschendes Bestreben der Pilger im Mittelalter war die Abkürzung des Aufenthaltes im Fegefeuer, um danach ins Paradies einzuziehen. Für diese Nachfrage schuf die Kirche des 16. Jahrh. Ein reichhaltiges Angebot.

 

Seit über 1000 Jahren pilgern Gläubige in das nordspanische Santiago zur Grabstätte des Apostels Jakobus. Dieser Weg hat sich seit 1985 zum Trend entwickelt – man ist wochenlang unterwegs zu Fuß, mit dem Rad oder dem Pferd/Esel. Aus den unterschiedlichsten Gründen sind Christen sowie Nichtchristen unterwegs nach Santiago, dem drittgrößten Pilgerziel nach Jerusalem und Rom.

 

Was treibt die Pilger heute an?

Viele erfahren gegenwärtig, dass sie auch körperlich aufbrechen müssen, um geistlich und geistig aufzubrechen, um einen neuen Anfang zu setzen.

Aus geistiger Unruhe wird körperliche Unruhe, aus körperlicher Bewegung wird geistige Bewegung. Allerdings weiß man am Anfang nicht genau, wohin diese Bewegung führen wird.

Unterwegssein vertieft die Erfahrung, dass Leben überhaupt Unterwegssein bedeutet. Pilgern bietet die Möglichkeit authentischer und neuer Erfahrungen mit sich selbst und mit seinen Mitmenschen. Das scheinen viele Menschen zu suchen, das scheint ein ganz wesentliches Motiv des Aufbruchs zu sein.

Man nimmt eine Auszeit; man will oder man muss anhalten. Man will eine Lebenssituation bedenken oder überdenken.

Doch Pilgern ist auch die Sehnsucht nach Langsamkeit, nach Ausbruch aus einem von Hektik und Reizüberflutung geprägten Alltag, nach einem einfachen Leben. Eine soziologische Untersuchung zeigt, dass ein großer Anteil an Pilgern vollkommen unabhängig von Kirche und Glauben die Erfahrung des Pilgerns machen wollen.

Der Aspekt “Selbstfindung” wird laut einer Trierer Erhebung bei modernen Pilgern sehr groß großgeschrieben.

Kirchen, Klöster und religiöse Traditionen entlang des Weges bilden demnach für den modernen “Hape-” oder “Paulo-Pilger” nur noch eine Hintergrundkulisse, denn er ist ein Sinnsucher in eigener Sache. Man beschreibt dieses Phänomen auch als eine Art “entkirchlichte Religiosität”.

Diesen Pilgern geht es nicht um Frömmigkeit und nicht darum, dogmatisch etwas zu glauben. Im Focus steht eher der Wille zu einer existentiellen Form der Selbsterkenntnis jenseits aller Dogmen und Theorien.

Text und Foto: G. Waigand