Santuario de la Virxe de Barca (an der Costa Da Morte, Muxía)
Ein Land voller Geheimnisse, Legenden und Mythen. An zahlreichen Orten am Jakobsweg kann das „Übernatürlichen“ erfahrbar werden wie ein Hauch von Transzendenz. Wer kennt nicht Eunate oder Santiago selbst, um nur zwei einprägsame Beispiele dieser „Kraftorte zu nennen. Das galt schon immer auch von bestimmten Orten der Costa da Morte (Todesküste im Nordwesten Galiziens). Sie stellt mit Finisterre die westliche Grenze Europas dar. Seit der Antike haben die Menschen diesen Ort als „Finisterrae“, das Ende der Welt, das Tor zum Jenseits, gesehen. Als sich das Christentum verbreitete, passten sich viele der von den ersten Bewohnern dieses Landes als „Heilige Orte“ verehrte Landschaften dem neuen Glauben an, wurden christlich überformt.
Selbst heute kann man bei religiösen Feierlichkeiten noch die uralte pantheistische und heidnische Aura spüren, die sie umgibt. Das Heiligtum der Virxe da Barca in Muxía zieht jedes Jahr Tausende von Gläubigen zu einer der bedeutendsten Wallfahrten Galiciens an. Noch immer ziehen Pilger von Santiago nach Finisterre an diesem Heiligtum vorbei, das von zahlreichen Legenden umrankt wird.
Unweit der schroffen Felsküste, an welcher sich die gewaltigen Wellen mit ohrenbetäubendem Getöse brechen, steht das Heiligtum „La Virxe de Barca“. Man steht hier in grandioser Kulisse vor einem der wichtigsten Marienheiligtümer Galiziens, dessen Ursprünge in grauer Vorzeit liegen.
Die Legende erzählt, dass die Jungfrau eigens hierher kam, um dem Apostel Jakobus Mut zu machen zur Fortführung seiner Missionsarbeit. Die gewaltigen Steine, die man an diesem Ort noch heute bewundern kann, gelten als Überreste des Bootes, in welchem die Jungfrau hier gelandet ist. Der berühmteste Stein heißt „Pedra de Abalar“. Früher soll er beweglich gewesen sein und von Zeit zu Zeit einen rauen Ton erzeugt haben. Ihm sagt man hellseherische Kraft nach. Durch Blitzschlag zerbrochen, bewegt sich der Stein infolgedessen heute nicht mehr
Der Stein „Os Cadrís“ ähnelt in seinem Erscheinen einer Niere und gilt als Segel des Schiffes. Ihm sagt man heilende Kräfte nach besonders bei Rückenleiden, Nierenleiden und Kopfschmerzen. Nicht weit davon entfernt befindet sich der Stein „Pedra do Timón“; er soll das Ruder des Schiffes der Jungfrau gewesen sein. Am Stein „Pedra dos Namorados“ pflegen Ehepaare sich ewige Treue zu schwören.
Bei ihrer Ankunft erlebten und beschrieben Menschen das Naturspektakel, wenn bei Abenddämmerung die Sonne im Atlantischen Ozean versank, eine Szene, die seit Urzeiten in der gemeinschaftlichen Erinnerung der alten Zivilisationen haften geblieben ist.
Diese Geschichten mögen dem einen oder anderen „spanisch“ vorkommen. Doch die Botschaft des Mythos zielt auf Ursprünge, Zusammenhänge, Tiefendimensionen und Sinngebungen. Er versucht ihre Deutung und Sinngebung im Horizont des Übernatürlichen. Erscheinungen des Lebens sind nie zufällig, sondern stets sinnvoll im positiven Sinne des Wortes. Nicht wenige Pilger scheinen auf diese Weise den oft beklagten „Transzendenzverlust“ unserer Zivilisation zu überwinden.
Foto und Text: G. Waigand