Pilgern im Dreiländereck

Pilgern im Dreiländereck –

Fortführung des Projekts „Über Grenzen“ (Pilgerpost, Dez.2017, Ausgabe 10) von Aschaffenburg nach Heidelberg

Pilger*innenstöcke und -hut

Es ist ein Wochenende vor den Sommerferien, sechs geschnitzte und verzierte Pilgerstöcke warten auf ihren Einsatz, der zweite Teil des Pilgerwegs von Michelstadt nach Heidelberg (70km) soll erkundet werden. Sechs Lehrer*innen lassen sich beim Start nicht unter einen Pilgerhut bringen, vier starten am Bahnhof in Michelstadt, wo der Pilgerweg vor einem Jahr geendet hatte.

Lieber schlecht gefahren….

Es ist bereits Nachmittag und die bange Frage, ob das 22 km entfernte Tagesziel Hammelbach vor Dunkelheit erreicht werden kann, treibt an. Das Gasthaus „ Zur Gerste“ in Steinbach mit Biergarten lädt ein zum Beratschlagen. Der dort in fröhlicher Runde „ansässige“ Wirt erkennt schnell die Notlage, steht mit Rat und schließlich auch mit Tat zur Seite. Gegen die Pilger*innenehre, aber dafür um so lustiger geht es mit Pkw über die erste Anhöhe hinweg ins Mossautal.

Verlockungen

Die Gruppe widersteht den Verlockungen der Brauerei Schmucker und beginnt den Aufstieg zum Lärmfeuer. Am Waldrand ist Zeit zum Verschnaufen und mit Graf Albrecht in Gedanken auf eine historische Auerhahnjagd zu gehen. (Gedenktafel)

Oben bieten die Ihrig-Hütte und der freie Vorplatz im Wald ideale Rastplätze. Wie gern würde man hier wie in alten Zeiten mit den Odenwälder Kindern Heidelbeeren sammeln und jetzt am hereinbrechenden Abend ein prächtiges Leuchtfeuer entfachen!

Krumme Tanne und goldene Krone

Der Wald-Höhenweg zur „Wegscheide“ verlässt die gewohnte Ausrichtung nach Westen, dreht nach Süden und gewährt Blicke ins unten liegende Weschnitztal. Dort ist etwa zur selben Zeit ein Bus unterwegs und bringt eine Pilgerin und einen Pilger aus Heidelberg nach Hammelbach. Sie melden dort im Gasthaus „Zur Krone“ eine Gruppe von 6 Pilger*innen zum Abendessen an. Denen auf der Höhe laufen sie auf dem Pilgerweg entgegen und treffen sie an der „krumme Tanne“ oberhalb von Hammelbach.  Die bei einsetzender Dunkelheit gelungene Vereinigung wird beim Essen gefeiert. In die fröhlich gesellige Runde mischt sich wehmütig die Erinnerung an den einst stillen Standort der krummen Tanne. Heute surren und knattern in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft 5 monumentale Windkrafträder.

Geheimes Nachtpilgern

Gestärkt entlässt das gastliche Haus die Gruppe in die Nacht für die letzte Teiletappe von 5 km hinauf zum Nachtlager im Naturfreundehaus auf der Tromm. Zum Glück brennt im Kuhstall von Bauer Mielke hinter der Evangelischen Kirche noch Licht. Zwei Pilgerinnen wagen zu später Stunde um einen Liter Milch für den Morgen zu fragen.  Dass sie Erfolg hatten, halten sie geheim und erfeuen die Gruppe am Morgen mit frischer Kuhmilch.

Inszenierung perfekt

Jeder hat etwas zu Hause Abgegriffenes dabei, zusammengelegt wird es ein vollständiges üppiges Frühstück, das von der Morgensonne ins rechte Licht gesetzt wird. Ein paar Schritte entfernt steht die Mooswiesenkapelle der Nachbarfamilie für eine Danksagung bereit, in die die genüsslich grasenden Schafe einzustimmen scheinen. Es fällt schwer diese Idylle zu verlassen und sich wieder auf den Weg zu machen.

Weg-Zugaben

Der Weg bleibt auf der Höhe (10km), führt abwechslungsreich durch Waldstücke, Wiesen und Felder, gibt den Blick immer wieder frei auf die östlichen und westlichen Höhezüge des Odenwaldes. Wie Geschenke wirken die zahlreichen Kunstwerke, die den Weg säumen. Für Schüler*innen wäre die Sommerrodelbahn auf der „Kreidacher Höhe“ die Attraktion dieses zweiten Tages.

Die Lehrer*innen aber ziehen weiter (5km), um rechtzeitig am frühen gemeinschaftlichen Abendessen im Kloster „Buddhas Weg“ teilnehmen zu können. Der letzte ansteigende Teilabschnitt der Etappe bringt ins Schwitzen, doch die Anhöhe von Siedelsbrunn belohnt mit einer Schmetterlingswiese, herrlichen Aussichten und interessanten Kunstwerken.

Jenseits und Diesseits

Es gelingt in kurzer Zeit, ins Klosterleben einzutauchen, aber auch für die, die Abstand nehmen wollen, steht ein weltlicher Kiosk mit freundlicher Chefin am Fuße des Kosters bereit.

Die letzte Etappe beginnt verlangsamt im Klostergarten – ein guter Ort für sich zu sein, zu meditieren. Hier beschließen die Sechs die letzte Etappe abzukürzen und entspannt ausklingen zu lassen. Statt Richtung Stiefelhütte, Unterabtsteinach, Naturfreundehaus Kohlhof, Wilhelmsfeld und Weißenstein (32km) geht es hinab zum „Lichtenklinger Hof“ (4km). Hier an dem alten Wallfahrtsort an der Grenze zwischen Hessen und Baden kommen noch einmal die Grenzerfahrungen im Äußeren und im Inneren auf dem langen Weg von Aschaffenburg ins Bewusstsein. Unter dem weitgespannten Pilgerhut, den die Buchen formen, ist sich die Gruppe einig:

„Kein schöner Land in dieser Zeit, als hier das unsre weit und breit…“

Von hier sind es nur ein paar Schritte und mit der Überschreitung des Eiterbachs ist die Grenze nach Baden passiert. Mit dem Lied auf den Lippen kehrt die Gruppe und jeder Einzelne ins Diesseits zurück. Der Bus nach Heidelberg wartet.

Frank Böhm, Heidelberg                                                    September 2018