Zuspruch zum Jakobustag 2022

Santuario de la Virxen de Barca (an der Costa Da Morte, Muxía)
Warum pilgern? Die klassische Antwort der Religionen ist klar: Um heilige Orte zu besuchen und um den Glauben zu bekennen. Dort ist man
in Kontakt mit dem Göttlichen: Propheten, Apostel und andere Heilige sind dort geboren oder begraben.
Ankunft am Ziel bedeutet: Du bist bis ins Zentrum vorgestoßen, du hast deinen ‘Gral’ gefunden, du
weißt nun, was für dich Bedeutung hat, ‘heilig‘ ist.
Eimal angekommen in Santiago, begeben sich viele ins Pilgerbüro, um die Compostela zu
erhalten. Ihnen wird bescheinigt, dass sie zu Fuß oder mit dem Rad eine Mindestanzahl an Kilometern
zurückgelegt haben. Das kann eine Leistung an sich bedeuten, aber war es tatsächlich das, was gezählt hat?
Wieder andere setzten ihren Weg fort zu einem weiteren Ziel: Kap Finisterre oder Muxia, jeweils an der
Atlantikküste gelegen, etwa 100 km entfernt von Santiago. Dort beenden sie ihren Weg und manchmal
auch einen Abschnitt ihres Lebens – dann kehren sie um.
Santiago liegt in Galizien, ein Land voller Geheimnisse, Legenden und Mythen. An zahlreichen Orten am
Jakobsweg kann das „Übernatürlichen“ erfahrbar werden wie ein Hauch von Transzendenz. Wer kennt
nicht Eunate und natürlich Santiago selbst, um nur zwei einprägsame Beispiele dieser „Kraftorte zu
nennen. Das galt auch schon immer auch von bestimmten Orten der Costa da Morte (Todesküste im
Nordwesten Galiziens). Seit der Antike haben die Menschen diesen Ort als „Finis terrae“, das Ende der
Welt, das Tor zum Jenseits, gesehen.


Selbst heute kann man bei religiösen Feierlichkeiten noch die uralte pantheistische Aura spüren, die sie
umgibt. So zieht das Heiligtum der Virxe da Barca in Muxía jedes Jahr Tausende von Gläubigen an zu einer
der bedeutendsten Wallfahrten Galiziens. Nicht von ungefährt ziehen nicht wenige Pilger nach ihrer
Ankunft in Santiago nach Finisterre an diesem Heiligtum in Muxia vorbei, das von zahlreichen Legenden
umrankt wird.
Unweit der schroffen Felsküste, an welcher sich die gewaltigen Wellen mit ohrenbetäubendem Getöse
brechen, steht das Heiligtum „La Virxe de Barca“. Man steht hier in grandioser Kulisse vor einem der
wichtigsten Marienheiligtümer Galiziens, dessen Ursprünge in grauer Vorzeit liegen.
Die Legende erzählt, dass die Jungfrau eigens hierher kam, um dem Apostel Jakobus Mut zu machen zur
Fortführung seiner Missionsarbeit. Die gewaltigen Steine, die man an diesem Ort noch heute bewundern
kann, gelten als Überreste des Bootes, in welchem die Jungfrau hier gelandet ist. Der berühmteste Stein
heißt „Pedra de Abalar“. Früher war der Stein beweglich und erzeugte im Spiel der Gezeiten einen rauen
Ton, sehr gut dokumentiert auf in einem Vieo auf You Tube (https://www.youtube.com/watch?
v=lMuVqJriVts). Ihm sagt man hellseherische Kraft nach. Durch Blitzschlag zerbrochen, bewegt sich der
Stein infolgedessen heute nicht mehr
In unmittelbarer Nähe liegt der Stein „Os Cadrís“, einer Niere ähnlich gilt er als Segel des Schiffes. Ihm sagt
man heilende Kräfte nach besonders bei Rückenleiden, Nierenleiden und Kopfschmerzen. Nicht weit davon
entfernt befindet sich der Stein „Pedra do Timón“; er soll das Ruder des Schiffes der Jungfrau gewesen
sein. Am Stein „Pedra dos Namorados“ pflegen Ehepaare sich ewige Treue zu schwören.
Bei ihrer Ankunft erlebten und beschrieben Menschen das Naturspektakel, wenn bei Abenddämmerung die
Sonne im Atlantischen Ozean versank, eine Szene, die seit Urzeiten in der gemeinschaftlichen Erinnerung
der alten Zivilisationen haften geblieben ist.
Diese Geschichten mögen dem einen oder anderen „spanisch“ vorkommen. Doch die Botschaft des
Mythos zielt auf Ursprünge, Zusammenhänge, Tiefendimensionen und Sinngebungen. Er versucht ihre
Deutung und Sinngebung im Horizont des Übernatürlichen. Erscheinungen des Lebens sind nie zufällig,
sondern stets sinnvoll im positiven Sinne des Wortes. Nicht wenige Pilger scheinen auf diese Weise den oft
beklagten „Transzendenzverlust“ unserer Zivilisation zu überwinden.
Foto und Text: G. Waigand